Lebensdauer von O-Ringen
Auswertung von Langzeitversuchen an NBR O-Ringen
O-Ringe sind ein Massenartikel, der zwar billig im Preis ist, aber in einem erheblichen Maße Standzeiten von Hydraulik- und Pneumatik-Komponenten beeinflusst. Daher stellt sich natürlich die Frage, welche Anforderungen an gute Standard NBR O-Ringe gestellt werden können, und welche Lebensdauerzeiten sich damit erzielen lassen. Um hier lieferantenunabhängige Aussagen machen zu können, die auch typische chargen- und fertigungsbedingte Streuungen miteinschließen sollen, wurden vom O-Ring Prüflabor Richter Langzeit Untersuchungen an NBR O-Ringen über eine Dauer von 2 Jahren durchgeführt und ausgewertet. Dabei wurden wichtige Erkenntnisse über den Einfluss der Temperatur, der Schnurstärke und der Rezeptur gewonnen. Ein Vorschlag für eine Bestellvorschrift für O-Ringe kann dabei helfen, das mögliche Leistungspotential von NBR O-Ringen bezüglich der Lebensdauerqualität auszuschöpfen.
Warum wird eine O-Ring-Dichtung undicht ?
Gummi ist kein ideal elastischer Werkstoff und verliert im verformten Zustand nach und nach sein Rückstellvermögen. Aber ein gewisser Verlust an elastischem Rückstellvermögen muss das Dichtheitsverhalten, das zum Beispiel über eine Leckrate gegenüber Prüfgasen gemessen werden kann, noch nicht negativ beeinflussen.
Dichtheitstests an ruhenden O-Ring Dichtungen bei tiefen Temperaturen belegen zweifelsfrei, dass O-Ring Dichtungen solange eine annähernd konstante Gasleckrate haben, bis der O-Ring selbst komplett eingefroren ist, das heißt jegliches Rückstellvermögen verloren hat, und darüber hinaus durch eine weitere Temperaturabsenkung der größere Schwund des O-Ringes gegenüber seinen Einbauraum einen zusätzlichen Dichtspalt erzeugt, der nicht mehr überbrückt werden kann. Erst dann steigt die Gasleckrate sprunghaft an /1/. Entscheidend für das Zustandekommen der Leckage an einer O-Ring-Abdichtung ist also nicht der Punkt, wann der O-Ring 50,60 oder 90 % seiner Dichtkraft verloren hat, sondern wann er 100% seiner Dichtkraft verloren hat und ein zusätzliches Ereignis in Form eines Dichtspaltes dann die Leckage herbeiführt. Die O-Ring Dichtung kann in bezug auf ihr Kälteleckageverhalten mit einem Zweipunktregler verglichen werden, die “Schalthysterese” beträgt +/- 2°C, wie die Untersuchungen aus /1/ zeigen, siehe Tabelle 1 .
T (100 % DVR)° C | T (Leckage)° C | |
FPM 1 | -21 | -35+/-2 |
FPM 2 | -7 | -20+/-2 |
FPM 3 | -27 | -31+/-2 |
FPM 5 | -33 | -44+/-2 |
FPM 7 | -33 | -41+/-2 |
FPM 8 | -33 | -41+/-2 |
EPDM | -47 | -61+/-2 |
MVQ | -45 | -63+/-2 |
Betrachtet man jetzt eine alterungsbedingte Leckage einer statischen O-Ring-Abdichtung, so treten hierfür die gleichen Wirkungsmechanismen wie bei der Kälteleckage auf, der O-Ring wird hart und verliert sein elastisches Rückstellverhalten. Der wesentliche Unterschied besteht lediglich darin, dass der für die bleibende Verformung verantwortliche Reaktionsmechanismus ein anderer ist, nämlich überwiegend ein chemischer. Die Polymerketten des O-Ringes werden gespalten, parallel dazu erfolgt eine Nachvernetzung. Beides bewirkt eine Spannungsrelaxation, d.h. der O-Ring verliert sein Rückstellvermögen, parallel dazu nimmt die Härte zu, da in der Regel die Nachvernetzungsreaktion gegenüber der Kettenspaltung überwiegt. Erst wenn nach einer 100%igen bleibenden Verformung des O-Rings zusätzlich ein Volumenschwund, zum Beispiel durch das Ausgasen flüchtiger Bestandteile oder durch einen Polymerabbau, oder ein zusätzlicher betriebsbedingter Spalt auftritt, zum Beispiel durch Temperatur- oder Druckänderungen, ist mit einer Undichtheit zu rechnen. Dass O-Ringe auch im sehr fortgeschrittenen Alterungsstadium noch dichten, findet man häufig in der Praxis bestätigt: bei Wartungsarbeiten werden oftmals O-Ringe ausgetauscht, die bereits total versprödet und stark bleibend verformt sind, und trotzdem haben diese bis zum Ausbau noch gedichtet.
Damit lässt sich der Punkt, bei dem zu mindestens für die überwiegende Zahl statischer O-Ring-Abdichtungen gerade noch Dichtheit gewährleistet ist, in etwa gleichsetzen mit dem Zeitpunkt, wann ein O-Ring eine 100%ige bleibende Verformung erreicht hat. Und dieser Zeitpunkt lässt sich wiederum in Laborversuchen relativ genau ermitteln, indem man Langzeit-Druckverformungsrest-Messungen durchführt, und zwar direkt an O-Ringen und nicht an Normprobekörpern. Voraussetzung dafür ist eine ausreichend genaue Messung der O-Ring-Schnurstärken vor und nach den Temperatur-Tests, was am besten mit Hilfe eines Laser-Scan-Micrometers möglich ist. Damit lassen sich auch kleine Verformungen sehr genau messen und somit der Zeitpunkt, wann O-Ringe den 100 % Druckverformungsrestwert durchlaufen. Dies stellt ein Lebensdauerkriterium dar, das im Vergleich zu klassischen in der Elastomertechnik verwendeten Lebensdauerkriterien, wie zum Beispiel eine Abnahme der Reißdehnung um 50 %, einen direkten Bezug zur Anwendung zulässt.
Zunächst wurden mit NBR O-Ringen von 11 verschiedenen Lieferanten, die zusammen ein erhebliches Marktvolumen repräsentieren, Druckverformungsrest-Versuche für drei Schnurstärken durchgeführt, Bild 1 .
Langzeitverhalten von NBR O-Ringen

Dabei handelte es sich durchweg um marktgängige schwefelvernetzte Standard-Qualitäten aus Nitrilbutadienkatschuk (NBR) mit der Nennhärte von 70 Shore A, wie sie in zahlreichen Hydraulik – und Pneumatikkomponenten eingesetzt sind. Das Diagramm belegt deutliche rezeptur – und schnurstärkenbezogene Unterschiede. O-Ringe mit der Nenn-Schnurstärke von 1,78 mm lassen bei 100°C eine Lebensdauer zwischen 1500h (Rezeptur C) und 3000h (Rezeptur B) erwarten, dickere O-Ringe mit der Schnurstärke von 6,99 mm zwischen 4500 und 6000 h. Je nach Wahl der Schnurstärke und der Rezeptur kann man bei NBR-O-Ringen bei 100°C also von abgesicherten Betriebszeiten von ca 1500h bis ca 6000h ausgehen. Allein durch die Wahl der Rezeptur lässt sich in etwa der Lebensdauerfaktor 2 bis 2,5 vom Anwender beeinflussen. Die Wahl der Schnurstärke hat eine um so größere Bedeutung, je höher die Betriebstemperatur ist, bei Temperaturen unterhalb von 80 °C ist sie nicht mehr von großem Einfluss. Dies belegen die Untersuchungen bei 125°C und 80°C an NBR-O-Ringen derselben Rezeptur (Rezeptur B), Bilder 2 und 3 .
Langzeitverhalten von NBR O-Ringen

Langzeit Druckverformungsrest-Verhalten

Übertragung der Ergebnisse auf niedrigere Temperaturen
Zunächst soll geklärt werden, inwiefern die Zeitverläufe eine Temperaturabhängigkeit zeigen, die dem von Arrhenius [ 2] aufgestellten Zusammenhang für chemische Reaktionsabläufe zwischen der Temperatur und der Reaktionsgeschwindigkeit folgen. Dazu trägt man die Betriebszeiten bis zum Erreichen des Lebensdauerkriteriums (100% bleibende Verformung) logarithmisch über der Y-Achse auf, und als X-Achse trägt man die inverse absolute Temperatur auf und trägt die Ergebnisse bei den drei unterschiedlichen Testtemperaturen von 80, 100, und 125°C ein , siehe Bild 4 .
Lebensdauergeraden für einen guten Standard NBR-O-Ring
Bild 4 zeigt die Lebensdauergerade für gute Standard NBR O-Ringe (Rezeptur B)
Liegen dann diese Punkte auf einer Geraden, kann man davon ausgehen, dass das Eintreten des Lebensdauerkriteriums im Wesentlichen von einem chemischen Reaktionsmechanismus verursacht wurde. Damit lässt sich dann durch Extrapolation der Geraden auf niedrigere Temperaturen eine realistische Ersatzlebensdauer bestimmen. Für gute NBR-O-Ringe (Rezeptur B) können daraus bei 60°C Betriebszeiten je nach Schnurstärke zwischen 7 und 10 Jahren abgeleitet werden. Über das Lebensdauerkriterium, d.h. hier über die Höhe des Druckverformungsrestes, ab dem man mit Leckagen rechnen muss, lassen sich anwendungsspezifische Randbedingungen berücksichtigen. Wie oben dargestellt, lässt sich für die meisten O-Ring Anwendungen ein Lebensdauerkriterium von 100% Druckverformungsrest vertreten, wo jedoch betriebsbedingte Unsicherheiten vorliegen, kann dies auch tiefer angesetzt werden, zum Beispiel bei 80%.
Größere Schnurstärken behindern die Sauerstoffzufuhr
Wie Bild 4 zeigt, liegen die 3 Punkte für die Schnurstärke 1,78 mm sehr schön auf einer Geraden, die anderen beiden Schnurstärken nicht. Dies lässt sich dadurch erklären, dass bei größeren Schnurstärken das Verhältnis der freien Oberfläche zum Volumen des O-Ringes abnimmt. Dadurch verringert sich das Vermögen des O-Ringes zum Wärme- und Stoffaustausch mit seiner Umgebung mit zunehmender Schnurstärke (bezogen auf die Masse), wodurch insbesondere der Luft- bzw. Sauerstoffaustausch behindert wird. Als Folge daraus verzögert sich die Kettenspaltung des Polymers und die Nachvernetzung. Bei niedrigeren Temperaturen (< 80 °C) nimmt der Sauerstoffbedarf infolge geringerer Reaktionsgeschwindigkeiten ab, dadurch verliert auch die Schnurstärke an Bedeutung auf die Lebensdauer.
Weitere mögliche betriebsbedingten Einflüsse auf die Lebensdauer
Zunächst muss einschränkend ergänzt werden, dass sich die Lebensdauergeraden aus Bild 4 ausschließlich auf das betrachtete Lebensdauerkriterium der bleibenden Verformung beziehen und andere mögliche Schadensmechanismen, wie zum Beispiel Abrieb, Spaltextrusion oder chemischer Angriff, hier nicht berücksichtigt sind. Auch sind die Versuche durchweg in Luft durchgeführt worden, ein zu mindestens einseitiger Ölkontakt hätte das Ergebnis für die getesteten NBR-O-Ringe positiv beeinflusst und damit längere Lebensdauerzeiten ergeben, sofern das Öl an den O-Ringen auch eine Volumenzunahme und keinen Schwund zur Folge hätte. Weiterhin sollte erwähnt werden, dass sämtliche Versuche bei einer relativen Verformung der O-Ringe von 25% der Schnurstärke durchgeführt wurden, die toleranzbedingten Verpressungen sich in der Praxis an O-Ringen zwischen ca. 15 und 30% (Schnurstärke 1,80 mm) und ca 10 bis 25% (Schnurstärke 7,00 mm) bewegen /3/. Kleinere Verpressungen als 25% führen zu schlechteren Druckverformungsrestwerten, größere Verformungen zu besseren Werten gegenüber den in den Versuchen ermittelten Ergebnissen [ 4] . Die Abweichungen in der Praxis gegenüber den Versuchsbedingungen, nämlich der häufig zu mindestens einseitige Ölkontakt und die zum Teil niedrigeren O-Ring Verformungen heben sich somit ein Stück weit auf, so dass die in Bild 4 angegebenen Betriebszeiten auch unter Einbeziehung der hier genannten Einflüsse als realistische Anhaltswerte für O-Ring Abdichtungen mit guten Standard NBR-O-Ringen betrachtet werden.
Qualitätskriterien für NBR-O-Ringe
Die Lebensdauerqualität von O-Ringen ergibt sich aus dem Produkt von Rezepturqualität und Fertigungsqualität, Bild 5 . Die multiplikative Verknüpfung bedeutet, dass eine hohe Rezepturqualität viel von seiner Wirkung verliert, wenn ein O-Ring bei der Herstellung nicht unter den richtigen Bedingungen vulkanisiert wird. Die Rezepturqualität eines Werkstoffes wird über Normprobekörper ermittelt, die teilweise bis zu 20 Minuten lang vulkanisiert werden, O-Ringe dagegen werden unter Serienbedingungen oft gerade mal 30 Sekunden vulkanisiert. Daher sind letztlich erst Prüfergebnisse an unter Serienbedingungen hergestellten O-Ringen tatsächlich aussagefähig über die tatsächliche Lebensdauerqualität. Daher sollte eine Bestellvorschrift für O-Ringe vor allem aussagefähige Fertigteilprüfungen beinhalten, eine Beschreibung einer Rezepturqualität allein ist nicht ausreichend. Neben der Spezifizierung des zulässigen Alterungs- und Quellverhaltens sollte dabei auch der Anteil extrahierbarer Mischungsbestandteile begrenzt werden.

Hohe Weichmacheranteile führen zu einem Volumenschwund durch Extraktion und Ausgasung, was die Lebensdauer von O-Ringen zusätzlich zur temperaturabhängigen Spannungsrelaxation verkürzt. Tabelle 2 ist ein Beispiel für eine Bestellvorschrift für gute Standard NBR-O-Ringe. Liegen untergeordnete O-Ring Anforderungen bezüglich Funktion und Langlebigkeit vor, können einzelne Punkte dieser Bestellvorschrift aufgeweitet werden, zum Beispiel beim Druckverformungsrest, wo oftmals auch geringere Anforderungen noch ausreichend sind. Der Unterschied zwischen guten und schlechten NBR-O-Ringen zeigt sich bei Kurzzeit-Prüfungen insbesondere im Druckverformungsrestverhalten (24h/100°C) und in der Höhe der extrahierbaren Bestandteile (Volumenabnahme nach Kraftstofflagerung und anschließender Rücktrocknung).
Um eine Werkstoffrezeptur aussagefähig zu beschreiben beziehungsweise zu analysieren, werden bevorzugt thermogravimetrische Analysen durchgeführt (TGA). Dabei lässt der Gewichtsverlust bei einer definierten Temperaturerhöhung bis zu max. 1000°C quantitative Rückschlüsse zu auf verschiedene Rezepturbestandteile, wie zum Beispiel niedrig siedende Anteile (Weichmacher), organische Bestandteile
Werkstoff-Prüfung | NBR 70 | NBR 80 | NBR 90 |
Härte, DIN 53519,Teil 2, IRHD | 70+/- 5 | 80+/- 5 | 90+/- 5 |
Druckverformungsrest, DIN 53517 , %24h/100 °C | |||
Lagerung in Prüfkraftstoff FAM B (DIN 51604), 24h/23 °C | 27 | 19 | 55 |
Änderung des Volumens, % | 95 max. | 90 max. | 85 max. |
Anschließende Rücktrocknung 22h/100 °C | |||
Änderung des Volumens, % | -10 max. | -10 max. | -10 max. |
Änderung der Härte, Shore A | -10 max. | -10 max. | -10 max. |
Änderung des Volumens, % | +12 max. | +12 max. | +12 max. |
Lagerung in ASTM-Öl Nr. 3, 70h/100°C | . | ||
Änderung des Volumens, %, max. | +20.. | +20 | +15 |
Änderung der Härte, Shore A | -10 max. | -10 max. | -10 max. |
Umluft, 70h/100 °C | |||
Änderung des Volumens, % | -3 max. | -3 max. | -3 max. |
Änderung des Gewichts, %. | -3 max. | -3 max. | -3 max. |
Änderung der Härte, Shore A | +6 max. | +6 max. | +5 max. |
Tabelle 2: Vorschlag für eine fertigteilbezogene Bestellvorschrift(Werkstoffanforderungen) für gute Standard NBR-O-Ringe
(Polymer), Rußanteile und nicht organische Bestandteile (Ascherest). Damit lässt sich eine einmal freigegebene Rezeptur jederzeit an Fertigteilen überprüfen.
Eine komplette Qualitätsabsicherung bei O-Ringen und damit auch eine Lebensdauerabsicherung sollte also beides umfassen, sowohl die Rezepturqualität als auch die Fertigungsqualität. Der hierzu erforderliche relativ geringe Aufwand bei der Rezepturauswahl und den O-Ring Prüfungen macht sich durch eine deutliche Verlängerung der Lebensdauer bezahlt.
Literaturhinweise
/1/ H.P. Weise, H. Kowalewsky, R.Wenz, Behaviour of Elastomeric Seals at Low Temperature, Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, Berlin, PARTRAM 92, Yokohama
/2/ Römpp Chemie Lexikon, Georg Thieme Verlag Stuttgart, Bd.1, S. 251
/3/ DIN 3771, Teil 5, O-Ringe, Berechnungsverfahren und Maße der Einbauräume
/4/ Präzisions O-Ringe Handbuch, 5705G, Parker Hannifin, Seite 47