Stand der Technik bei der Prüfung von Gummidichtungen und elastomeren Werkstoffen
Autor: Dipl.-Ing. Bernhard Richter, O-Ring Prüflabor Richter
Fortschritte in der berührungslosen Messtechnik und in der Werkstoffprüfung ermöglichen eine genauere und schnellere Überprüfung von O-Ringen, Elastomerdichtungen und Werkstoffen bezüglich wichtiger Qualitätskriterien wie Abmessungen, Oberflächenfehler, Langzeitverhalten oder Werkstoffbeschaffenheit. Der untenstehende Aufsatz stellt die Möglichkeiten der kräftefreien dimensionellen Prüfung vor und zeigt die Möglichkeiten moderner Werkstoffprüfungen mittels Druckspannungsrelaxation und Thermogravimetrie auf.
Der Einsatz optischer Messverfahren zur Überprüfung von Maßen und Oberflächen von O-Ringen, Gummidichtungen und Formteilen
Die Funktion von Elastomer-Dichtungen, die meistens im Kraftnebenschluss verbaut werden, ist sehr stark abhängig vom Verformungsgrad in der Nut und damit von den Abmessungen der Teile. Je kleiner die Dichtungen sind, desto wichtiger wird eine formgenaue Ausführung. Bei der Überprüfung der Abmessungen kommt man mit der klassischen, berührenden Messtechnik jedoch schnell an Grenzen, weil dabei die Dichtungen verformt werden. Daher werden sowohl bei der Messung von O-Ringen als auch von Profildichtungen und Gummiformteilen bevorzugt kräftefreie Prüfverfahren eingesetzt. Tabelle 1 zeigt hier die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten.
Messmittel | Messmöglichkeiten | typischer Einsatzbereich |
---|---|---|
Laser-Scan-Micrometer | Höhen, Abstände, Durchmesser | axiale und radiale Schnurstärken von O-Ringen |
Digital-Mikroskop, 20-200-fach | Oberflächenfehler, Winkel, Ab-stände, Durchmesser, Tiefen | Oberflächenabweichungen (O-Ringe DIN 3771/4), Formteile (Profilschnitte) |
optische Messmaschi-ne (Rotationsprinzip) | Außen- und Innendurchmesser (Durchlicht), Wandstärken, ra-diale Schnurstärken | O-Ringe, runde Dichtungen und Formteile, Sortierung nach vorgegebenen Toleranzen |
optische 3D-Messmaschine | Abstände, Durchmesser (Auf-und Durchlicht), Winkel, Höhen, konstruierte Maße | Formteile (komplette Erstbemusterungen von Einzelnestern), Oberflächenabweichungen |
Die Vorteile eines Laser-Scan-Micrometers gegenüber einem Messtaster
Der Vorteil eines Laser-Scan-Micrometers liegt in der hohen Genauigkeit, er ist einfach zu bedienen, und er ist relativ preisgünstig im Vergleich zu anderen berührungsfreien Messgeräten. Im O-Ring Prüflabor Richter wird der Laser-Scan-Micrometer überwiegend zur Messung der axialen Schnurstärke von O-Ring-Abschnitten eingesetzt, welche zur Messung des Druckverformungsrestes vor und nach der Verformung und Temperaturbeanspruchung ermittelt werden muss. Die Ergebnisse können einfach in eine Excel-Datei eingelesen und dokumentiert bzw. gespeichert werden. Im Vergleich zu Messungen mit Messtastern ist das Messergebnis unabhängig von Einflüssen durch die Auflagekraft, durch den Durchmesser des Messtellers und der Person des Prüfers, zudem sind die Möglichkeiten, Fehler zu machen, erheblich geringer. Der Nachteil eines Laser-Scan-Micrometers liegt darin, dass, bedingt durch das Messprinzip (es wird ja nur der Schatten des Messobjektes gemessen) an ganzen O-Ringen oder an planen Flächen die Abweichung von der idealen Planheit mitgemessen wird.
Vorteil eines Digitalmikroskops im Vergleich zu einem klassischen Lichtmikroskop
Der Einsatz von einem modernen Digitalmikroskop kann die Effizienz bei der Qualitätskontrolle von Dichtungsoberflächen erheblich verbessern, indem die Bildqualität damit erheblich gesteigert werden kann, insbesondere die Tiefenschärfe bei starken Vergrößerungen, das Bild steht digital zur Verfügung und es können an den Bildern sehr genaue Messungen vorgenommen werden, bei entsprechender Ausstattung sogar dreidimensional. Im O-Ring Prüflabor Richter wird ein Digitalmikroskop
überwiegend zur Darstellung von unzulässigen Oberflächenabweichung von O-Ringen und zur Schadensanalyse eingesetzt, teilweise werden damit aber auch Dichtungsprofile vermessen (Radien, Winkel, Abstände, Flächen).
Optische 2D-Messmaschinen (Rotationsprinzip)
Eine speziell für das Messen von O-Ringen entwickelte Mess- und Sortiermaschine ist beim Prüflabor Richter in Betrieb. Durch die Kombination einer mit Linearantrieb steuerbaren Zeilenkamera mit einem drehbaren Messtisch aus Glas ist es möglich, O-Ringe, aber auch andere Dichtungen berührungsfrei von 0 bis 400 mm Innendurchmesser sehr genau zu vermessen. Gemessen wird der Innen- und Außendurchmesser sowie die Schnurstärke.
Im Vergleich zu bereits existierenden Messmaschinen gehen Unrundheiten infolge der Biegeschlaffheit der Dichtungen nicht als Messfehler mit ein. Durch die Auswertung von mehreren tausend Messpunkten über den Umfang und die anschließende Auswertung mittels eines mathematischen Auswerteverfahrens ist durch das berührungsfreie Erfassen der Prüflinge eine äußerst gute Reproduzierbarkeit und hohe Genauigkeit der Messung gegeben. Als Ergebnis der Messung bekommt man
neben dem Innen- und Außendurchmesser den Mittelwert und die punktuellen Kleinst- und Größtwerte der Schnurstärke. Damit gewinnt man sichere Angaben über die Funktionalität des O-Rings, da auf diese Weise auch erhöhter Versatz und Grat aufgespürt werden. Für Außendurchmesser unter 25 mm kann kontinuierlich geprüft eine Sortierfunktion aktiviert werden. Der Vorteil dieses Messverfahren ist die schnelle und hochpräzise Messung und die einfache Bedienbarkeit. Der Nachteil besteht darin, dass nur Durchmesser geprüft werden können und das nur im Durchlicht. Auch Höhenmessungen sind damit nicht möglich.
Tabelle 2: Mess-Studie an einem O-Ring 216x1,5 | 10 x in gleicher Lage gemessen | 10 x in verschiedenen Lagen gemessen |
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Innendurchmesser, Mittelwert aus 10 Einzelmessung, mm | 215,475 | 215,482 |
Innendurchmesser, Größtwert aus 10 Einzelmessungen, mm | 215,477 | 215,505 |
Innendurchmesser, Kleinstwert aus 10 Einzelmessungen, mm | 215,470 | 215,471 |
Innendurchmesser, Standardabweichung, mm | 0,002 | 0,010 |
mittlere Schnurstärke, Mittelwert aus 10 Messungen, mm | 1,502 | 1,504 |
mittlere Schnurstärke, Größtwert aus 10 Messungen, mm | 1,502 | 1,515 |
mittlere Schnurstärke, Kleinstwert aus 10 Messungen, mm | 1,501 | 1,499 |
mittlere Schnurstärke, Standardabweichung, mm | 0,000 | 0,006 |
Optische 3D-Messmaschine
Die oben beschriebenen Verfahren der berührungsfreien Messung haben begrenzte Anwendungsgebiete und werden daher überwiegend für O-Ringe, Hydraulik- und Pneumatikdichtungen und für Radialwellendichtringe eingesetzt. Zur Erstmusterprüfung von Formteilen reicht dies aber nicht aus. Hier müssen auch größere Abstände gemessen werden können, ebenso müssen Messungen von konstruierten Punkten möglich sein und natürlich auch Prüfungen im Auflicht. Auch Messungen in der Z-Achse sind ein wichtiges Auswahlkriterium. Für Erstmusterprüfungen, das heißt für die nesterbezogene Vermessung von Formteilen soll dies auch mit einem vertretbaren Aufwand möglich sein. Für diese Zwecke wird im O-Ring Prüflabor Richter eine optische, relativ einfach programmierbare, optische 3D-Messmaschine eingesetzt, siehe Bild 4. Natürlich erfordert die Bedienung dieser Messmaschine eine intensive
Einarbeitung und die Prüf- bzw. Bedienzeit pro Auftrag ist im Vergleich zu den oben beschriebenen Messverfahren deutlich länger, dafür bietet diese Maschinen aber alle erdenklichen Optionen und stellt daher die ideale Ergänzung dar.
Zusammengenommen bieten die dargestellten Prüfverfahren die Möglichkeit, bei der maßlichen Überprüfung von Gummidichtungen das unter technologischen und wirtschaftlichen Aspekten best geeignetste Prüfverfahren auszuwählen.
Moderne Prüfverfahren zur Charakterisierung von Elastomerwerkstoffen
Die kontinuierliche Druckspannungsrelaxationsprüfung
Die Druckspannungsrelaxationsprüfung bewertet im Vergleich zur Druckverformungsrestprüfung nicht das Rückstellverhalten nach Verformung, Temperaturbeanspruchung und anschließender Entspannung in Form des Rückstellweges sondern den Erhalt der Dichtkraft bei konstanter Verformung unter Einfluss der Temperatur und Zeit. Sie ist apparativ wesentlich aufwendiger durchzuführen als eine Druckverformungsprüfung, insbesondere bei kontinuierlicher Messung, und eignet sich daher weniger als serienbegleitende Fertigteilprüfung. Der Vorteil liegt in der kontinuierlichen Erfassung des Werkstoffverhaltens unter Temperatureinfluss, mit den gewonnenen Ergebnissen können dann vorhandene Rechenmodelle zur Darstellung des Relaxationsverhaltens überprüft und wertvolle Hinweise auf das Werkstoffverhalten gewonnen werden. Damit kann das technologische Verhalten von Gummiwerkstoffen noch besser dargestellt werden. Auch kann damit das Leistungspotential von Dichtungswerkstoffen insbesondere im Bezug auf das Langzeitverhalten aufgezeigt werden. Ganz besonders wertvoll ist dieses Verfahren für Elastomerdichtungen, die im Krafthauptschluss eingesetzt werden, weil dort allein über Druckverformungsrestmessungen keine ausreichende Vorhersage über das Langzeitverhalten möglich ist. Die am häufigsten angewendete Prüfnorm ist die ISO 3384 beziehungsweise DIN ISO 3384. Tabelle 3 zeigt ein Beispiel für eine solche Prüfung: Nach 24h wird die Spannungsrelaxation bestimmt durch physikalische Vorgänge, die zunehmende Quellung führt zunächst deshalb zu einer Zunahme der Dichtkraft bis ca. 168h bzw. eine Woche, bevor dann die Alterung des Werkstoffes, das heißt chemisch bedingte Relaxationsvorgänge, zu einer Abnahme der Dichtkraft führen. Wegen der guten Beständigkeit des geprüften Dichtungswerkstoffes ist der Effekt der Alterung aber relativ gering.
Zeit | Kraft in N | Spannungsrelaxation in % |
---|---|---|
nach 30 min. | 104,0 | - |
nach 24 h | 84,1 | 19,1 |
nach 72 h | 88,8 | 14,6 |
nach 168 h | 90,4 | 13,1 |
nach 336 h | 88,3 | 15,1 |
nach 504 h | 86,5 | 16,8 |
Tabelle 3: Ergebnisse einer Druckspannungsrelaxationsprüfung eines AEM-Werkstoffes nach ISO 3384 B über 504h bei 150°C in einem Motoröl
Wie oben erwähnt, ist der apparative Aufwand zur Messung der Druckspannungsrelaxation relativ groß, da die Kraftmessdosen thermisch entkoppelt sein müssen, die Aufzeichnung soll kontinuierlich erfolgen und die Temperatur soll direkt an der Probe gemessen werden. Im O-Ring Prüflabor Richter setzt man daher bei Messungen bei erhöhten Temperaturen und in Ölen auf die Messtechnik eines Spezialisten für die Druckspannungsrelaxation, während für die Messung bei Raumtemperatur eigene Prüfvorrichtungen verwendet werden, siehe Bild 5
Vorrichtungen zur Druckspannungsrelaxationsmessung
Da neben dem Polymer die restlichen Rezepturbestandteile einer Gummimischung einen wichtigen Einfluss haben, ist es für den Anwender wünschenswert, eine Rezeptur bezüglich der Zusammensetzung zu beschreiben beziehungsweise zu charakterisieren. Dies ermöglicht innerhalb bestimmter Grenzen eine TGA-Analyse. Dabei wird eine Werkstoffprobe (ca. 10 mg) der zu überprüfenden Dichtung kontinuierlich bis zu max. 1000°C erhitzt, und dabei der relative Gewichtsverlust über der Temperatur gemessen. Die Auswertung der Kennlinie erlaubt die quantitative Ermittlung der Mischungsbestandteile in verdampfbare Bestandteile (überwiegend Weichmacher), pyrolysierbare Bestandteile (überwiegend Polymer), oxidierbare Bestandteile (überwiegend Ruß) und nicht oxidierbare Bestandteile, auch als Ascherest bezeichnet.
Wird diese Kurve bei einer Erstbemusterung aufgenommen, kann bei späteren Lieferungen in Zweifelsfällen an Serienteilen die Übereinstimmung geprüft werden. Daher
wird diese Prüfung hauptsächlich bei der Erstmusterprüfung durchgeführt, bei der Serienüberwachung nur in Zweifelsfällen oder für kritische Teile. Auch bei Schadensanalysen liefert eine TGA-Kurve wertvolle Informationen und erlaubt oft wichtige Rückschlüsse. Bild 6 zeigt die Messzelle eines TG-Analyzers und zwei daraus gewonnenen Thermographen, die einen sofortigen Rückschluss auf die quantitative Zusammensetzung der Rezepturen (peroxidisch vernetztes EPDM 70) zulassen: Die obere Kurve stellt einen schlechten Stand der Technik dar wegen des hohen Weichmacheranteils, die unter Kurve einen guten Stand der Technik , es sind keine Weichmacheranteile zu erkennen, was positive Auswirkungen im Vergleich zur oberen Rezeptur auf das Langzeitverhalten hat.
Zusammenfassung
Nie zuvor konnten Gummiartikel bezüglich ihrer Beschaffenheit besser untersucht werden. Natürlich sind damit nicht unerhebliche Investitionen in Messgeräte und in die Qualifikation von Mitarbeitern verbunden. Daher ist die Prüfung von O-Ringen, von elastomeren Dichtungen und Werkstoffen ein typisches Gebiet für eine Dienstleistung, da diese Tätigkeit einen hohen Spezialisierungsgrad und kostenintensive Messtechnik erfordert. Wird diese Dienstleistung zudem von einem akkreditierten Prüflabor durchgeführt, kann dies Mehrfachprüfungen beim Lieferanten und beim Kunden ersparen und somit in doppelter Weise helfen, Kosten einzusparen.